Hinter der grünen Tür

Die Sektkorken knallen, denn vor ziemlich genau einem Jahr haben wir die erste Geschichte an dieser Stelle veröffentlicht. Nun sind es im ersten Jahr immerhin 27 Stück geworden, bemerkenswert wie wir finden.

Für die Jubiläumsausgabe haben wir uns was Besonderes einfallen lassen. So haben wir uns Dreien das Thema "Hinter der grünen Tür" vorgegeben. Jeder sollte eine Kolumne dazu verfassen. Die Idee zu dieser Aktion ist inspiriert durch das Filmfestival Berlin 36. Hier mussten Künstler innerhalb von 36 Stunden einen Kurzfilm zum Thema "Hinter der grünen Tür" drehen. Wir haben uns etwas mehr Zeit gelassen, aber das Thema haben wir beibehalten.

Hier finden sich nun unsere 3 geistigen Ergüsse. Es gibt übrigens noch eine 4. Version, zu finden hier.

Hinter der grünen Tür Hinter der grünen Tür Hinter der grünen Tür
von Matin von Mac von Steinchen
Sie haben Post! Haben Sie das gewusst? Warum wussten Sie es nicht? Jeder wusste es. Selbst der alte Trunkenbold am Kioskeck, der nicht mal mehr weiß, dass er zum Pissen die Hose aufmachen muss, hat es gewusst. Nur Sie wussten es nicht. Dabei war der Brief für Sie. Nur für Sie. An einem Donnerstag Nachmittag warf ihn die Briefträgerin bei ihnen ein. Ein weiser Umschlag mit ihrer Adresse - handschriftlich in blauer Tinte vermerkt - genau wie der Absender. Und eine Briefmarke war darauf. Logisch, sonst wäre die nette Briefträgerin ja nicht so bemüht gewesen, ihn bei ihnen einzustecken. Und ein Stempel war auch drauf, teilweise auf der Marke, teilweise auf dem Brief selbst. Auch logisch, denn sonst hätte die nette und junge Briefträgerin ja den Brief für Sie niemals von der Postverteilungsstelle erhalten. Aber das wussten Sie alles nicht. Die junge, nette, rothaarige Briefträgerin ist wieder auf ihr Fahrrad gestiegen und weitergefahren, und alle wussten, dass Sie einen Brief bekommen haben, selbst der alte Trunkenbold am Eckkiosk, der nicht mal mehr weiß, dass er sich gerade im Moment wieder einpisst, nur Sie wussten es nicht. Aus dem Fenster über Ihnen spielt das Radio Musik - "...doch im Frühling erblüht die Liebe..." - und im Park steht ein Vater mit seinem Kind am Teich und füttert die Enten, und Sie haben Post. Doch dass wussten Sie nicht. Sie konnten es auch gar nicht wissen, denn Sie waren ja gar nicht da, als der Brief, hineingeworfen, durch die rothaarige, immer fröhliche Briefträgerin, durch den Briefschlitz in ihrer Tür, zu Boden segelte und weich auf Ihrem Teppich landete. Sie waren nicht da und wussten es deshalb nicht. Nur alle anderen wussten es. Und sie wussten auch, dass Sie nicht da sind. Die Anderen wussten, dass Sie nicht wussten, dass Sie einen Brief haben. Sie haben Post! Immer noch. Sie wussten nicht, dass Sie Post haben und nun wissen Sie es. Nun wissen Sie es, denn als Sie nach Hause gekommen sind, sahen Sie den Brief für Sie am Boden liegen, auf Sie wartend. Und als Sie in aufmachten lasen Sie diesen langwierigen Text. Ja Herr Müller, da können Sie mal sehen wie viel Zeit ich hatte, seit ich darauf warte, dass Sie endlich Ihre Rechnung bezahlen. Ich warte nun schon zwei Monate, und versuche ebenso lange Sie telefonisch zu erreichen, aber es geht immer nur ihr verdammter Anrufbeantworter ran, der mir sagt, dass Sie nicht zu Hause sind. Wo sind Sie Herr Müller? Wo verstecken Sie sich? Zweitausendvierhundertdreißig Euro und fünfzehn Cent bezahlen sich nicht mal eben von selber. Auch ich habe finanzielle Verpflichtungen, Herr Müller. Und wenn ich noch länger auf die Tilgung Ihrer Schulden warten muss, könnten mir noch dümmere Sachen als dieser Brief einfallen - ich bin verzweifelt. Also tun Sie uns beiden bitte den Gefallen und überweisen Sie mir den oben genannten Betrag sofort. Mit unfreundlichen Grüßen, Jörgens Meine Familie hatte einmal ein Haus in einer Vorstadtsiedlung. Es war zwar nur ein Reihenhaus. Dennoch zum ersten Mal eine Hausnummer, die alleine uns gehörte. Inmitten der kleinen verlogenen Scheinidylle des Mittelstandes. Einer Welt voll neidender Nachbarn, unlängst nicht abbezahlter Nobelkarossen und von Gartennazis. Sei es drum. Ich war damals noch zu jung, um all dies verstehen zu können. Was mich um so unendlich mehr faszinierte, in unserem Haus existierte eine grüne Tür. Irgendwie surreal. Doch sie war da. Die gesamte Zeit über. Und das Kuriose daran war, sie war stets verschlossen. Und es schien absolut keinen Schlüssel für sie zu geben. Nirgendwo, im gesamten Haus. Ich konnte einfach Keinen finden. Ein paar mal versuchte ich krampfhaft durch das Schlüsselloch hindurch zu gucken. Doch ich vermochte nie etwas zu erkennen. Es war viel zu dunkel. Also fragte ich meine Mutter, was es mit dieser mysteriösen Tür auf sich hätte. Das wäre Nichts für mich! Was sich dahinter verstecke, würde mir garantiert nicht gefallen! Ich wäre noch nicht so weit! Es nicht zu wissen, sei für mich viel besser! Aber wie konnte all dies denn sein, protestierte ich laut. Die Tür war schließlich grün. Und Grün galt doch ewig schon als die Farbe der Hoffnung. Noch nicht, bekam ich immer wieder zur Antwort! Ob denn jedes Haus auch eine grüne Tür besäße, fragte ich sie außerdem. Vermutlich schon, meinte sie. Bei dem einen Haus falle sie halt kleiner aus, bei einem Anderen wäre sie wiederum größer. Daraufhin versuchte ich heraus zu finden, ob nicht meine Oma vielleicht etwas wissen würde. Sie sagte, sie wusste es einmal. Doch sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. Dennoch bereitete ihr die grüne Tür in unserem Haus ein zunehmendes Unbehagen und Unwohlsein. Nach einiger Zeit zog meine Oma dann aus. In ein anderes Haus, mit einer sehr viel kleineren grünen Tür. Mein Vater verbot mir stets strikt über die ominöse Tür zu reden. Er versuchte mich mit aller Macht daran zu hindern. Doch mein Interesse an ihr stieg dadurch nur noch umso mehr. Denn was sich hinter ihr verbarg, konnte auch er mir nicht erklären. Keine Ahnung, ob er es nun nicht wollte, oder einfach nicht fertig brachte. Irgendwann bekam ich mit, wie meine Eltern sich wahnsinnig darüber stritten, was die grüne Tür betraf. Es brauchte Jahre, bis es sich wieder einigermaßen normalisierte zwischen ihnen. Ich war während der gesamten Zeit, die wir in dem Reihenhaus wohnten, nicht immer gleichermaßen daran interessiert, das Geheimnis der grünen Tür zu lüften. Mal mehr, mal weniger. Mein kleiner Bruder interessierte sich so absolut gar nicht für sie. Womöglich ja aber auch nur noch nicht. Die Zeit verstrich wie im Flug. Bis ich die grüne Tür eines Tages aufbrach. Einfach so. Ohne groß über die Konsequenzen nachzudenken. Was sich hinter ihr befand? Nun, alle hatten sie Recht. Es war erschütternd. Ablehnung, Angst, Eifersucht, Enttäuschung, Hass, Lüge, Trauer, Unsicherheit, Verletzung, Verzweifelung, Wut, Zorn. Aber im Gegensatz zu all dem Schlechten ebenso auch Liebe, Geborgenheit, Vertrauen und Glück. Die ganze Palette des Lebens eben. Ich habe es seither jedenfalls zu keinem Zeitpunkt bereut, hinter die grüne Tür geschaut zu haben. Denn nur so konnte ich erkennen, dass vor ihr bereits dahinter war. Ich glaub sie ist zu. Wieder, um genau zu sein. Sie war schon mal offen, die grüne Tür. In den 80er gab es wirklich die Chance, einen endgültigen Schritt durch die grüne Tür zu gehen. Wir sind diesen Schritt nicht gegangen, heute können wir ihn nicht mehr gehen. Natürlich, wir haben eine grüne Partei in der Regierung. Aber wahrscheinlich kann man grüne Ideen nicht in der Regierung umsetzen, zumindest nicht schnell genug, wenn man rot zumischt. Übrigens, ist ihnen mal aufgefallen, dass Grün und Rot gemischt Braun ergibt? Ein merkwürdiger Gedanken.

Wir entfernen uns von der grünen Tür - der Chance auf eine grüne Alternative - immer weiter. Natürlich, wir essen heute Fleisch von glücklichen Kälbern - man könnte sagen Biowurst - ebenfalls ein merkwürdiger Widerspruch. Heute werden grüne Türmacher von Atomtransporten überrollt. Früher wurde der Protest zumindest immer noch respektiert. Heute überrollen wir einfach die grünen Türmacher. Apropos Atomkraft, seit Jahren transportieren wir ins Zwischenlager. Wie lange dauert es eigentlich, bis es mal ein Endlager gibt? Erst am Ende der Welt? Übrigens, was stellen sie sich eigentlich unter dem Zwischenlager Gorleben vor? Ich mein, wenn sie ruhig schlafen wollen, dann hören sie jetzt auf zu lesen! Wenn sie die Wahrheit wissen wollen, das Zwischenlager ist eine grüne überirdische Kühlhalle, mehr nicht. Es ist kein Salzstock und auch kein anderswie besonders abgeschirmtes Gebäude. Und dort lagern die nächsten 30 Jahre die dorthin transportierten Atomcastordinger.

Sie sehen, wir entfernen uns von der grünen Tür schnell und zielstrebig. Die Frage ist nur, auf welche Tür wir jetzt zustreben?


 

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letzte Änderung: 22.12.2004
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