Gerecht?

Zwei Kinder, Peter und Gabi, spielen gemeinsam in einem Zimmer mit allerlei Dingen zum Basteln, Bauen und freiem ausprobieren. Gabi beschäftigt sich mit der Konstruktion eines Spielzeugautos, während Peter der Hafer zu stechen scheint und er beginnt Farbe über den Teppich zu gießen, Papier zu zerreisen und Bauklötzer gegen die Wand zu werfen. Der Vater kommt herein, schaut sich das Durcheinander an, geht auf Gabi zu, schimpft sie für das Angerichtete aus und gibt ihr Spielverbot für die nächste halbe Stunden, die sie zur Strafe ruhig auf einen Stuhl sitzen soll.

Gerecht?

Die halbe Stunde ist um und Gabi darf weiter an ihrem Spielzeugauto basteln. Nach mühevoller Arbeit vollendet sie ihr Werk und betrachtet stolz das Ergebnis ihres Schaffens. Wieder kommt der Vater in das Zimmer. Sieht das niedliche Auto und spricht Peter sein Lob für diese Arbeit aus. Als Belohnung erhält Peter ein Eis.

Gerecht?

Während Peter sein Eis ißt, spielt Gabi bereits mit ihrem Auto. Sie fährt am Boden des Zimmers entlang, läßt das Auto (es handelt sich natürlich um ein Superauto) über Teddies und andere Hindernisse springen und dann und wann scheint das Auto sich in ein Flugzeug zu verwandeln, denn es bleibt länger in der Luft, als es sich für ein Auto geziemt. Als Peter sieht wieviel Spaß Gabi mit dem Auto hat, fängt er an zu weinen und zu schreien: Er will auch so ein Auto. Wieder betritt der Vater das Zimmer, analysiert die Misere messerschaf, nimmt Gabi das Auto weg und gibt es Peter.

Gerecht?

Gabi und Peter werden erwachsen. Die Querelen der Kindheit sind vergessen. Sie erlernen beide den selben Beruf und fangen sogar beide bei der selben Firma an zu arbeiten. Beide bekommen das gleiche Gehalt. Gabi hat große Pläne: Sie will eine Familie gründen und ihren Kindern später einen guten Start ins Leben ermöglichen, deshalb fängt sie an für die möglichen Ausbildungskosten Geld von ihrem Lohn zur Seite zu legen. Auch für das nicht zu vermeidende Alter bildet sie Rücklagen. Und auch um gegen unvorhergesehene Schläge des Lebens vorbereitet zu sein, verzichtet sie dann und wann auf einen Kinobesuch oder ein feines Abendessen auswärts und spart auch hierfür einen kleinen Teil ihres Einkommens.
Peter liebt das Leben. Da man nie weiß, ob man morgen noch lebt, genießt er es in vollen Zügen. "Carpe diem!" heißt seine Devise. Keine Feier auf der Peter nicht auftaucht, kein Film den er nicht gesehen, kein Szenerestaurant das ihn nicht als Stammgast kennt. Mitleidig blickt er auf Gabi, die ihr mausgraues Leben lang nur dahinvegetiert. Die Jahre gehen ins Land. Gabis Kinder sind groß und wollen ein Studium beginnen, eine nicht unerhebliche Investition, aber dank Gabis Rücklagen ist sie zu schultern. Auch um ihre Altersversorgung braucht Gabi sich keine allzugroßen Sorgen zu machen, da sie ein kleines Vermögen angespart hat, welches es ihr ermöglicht den Winter des Lebens vor einem behaglichen Feuer zu verbringen.
Peters Feierlaune hat sich inzwischen zu einem Kater gewandelt. Da er seinen Kindern keine gute Ausbildung ermöglichen kann, ist ein Abnabeln von den Eltern noch in weiter Ferne. Auch merkt Peter inzwischen in seinen Knochen die Spuren seiner durchzechten Nächte und blickt, bei Betrachtung seiner nicht vorhandenen Ersparnisse, sorgenvoll in die recht ungemütliche Zukunft. Empört ist er über die Unverschämtheit von Gabis Selbstzufriedenheit. Ihr angeberischer Reichtum ist für ihn pure Provokation. Er fängt an zu schreien und zu demonstrieren. Vater Staat betritt die Bühne. Er nimmt das Problem sofort wahr und schließt: Diese Ungleichheit darf nicht sein! Staatliche Unterstützung für Peter ist aus Gründen der Menschlichkeit mehr als geboten. Die Mittel hierfür werden durch eine Vermögenssteuer auf Gabis Erspartes aufgebracht.

Gerecht?


 

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letzte Änderung: 22.06.2006
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