Es hat mehr als ein Vierteljahr gedauert, dass ich die Kraft gefunden habe, diese Zeilen hier zu schreiben. Und auch jetzt fällt es mir nicht leicht. Es geht um ein Thema, das man gerne verdrängt. Es geht um den Tod von Familienmitgliedern, Freunden und anderen einem nahestehenden Menschen. Kurz vor Silvester 2005 wurde mein 85-jähriger Großvater mit einem Herzinfakt ins Krankenhaus eingeliefert. Wir hatten zuvor noch ein paar schöne Weihnachtsfeiertage mit ihm gehabt. Ich besuchte ihn sofort, es schien ihm den Umständen entsprechend gut zu gehen. Er war ansprechbar, konnte selbst atmen und sogar sprechen. Als ich Neujahr nochmal bei ihm war, hatte sich sein Zustand schon verschlechtert. Seine Niere hatte versagt und er war an eine Dialysemaschine angeschlossen. Beim Abschied wünschte ich mir, dass er schon bald wieder gesund sei. Er bestätigte dies und fügte noch hinzu "Ich will ja!". Das waren die letzten Worte, die ich mit ihm gewechselt habe. Die nächsten Tage konnte ich nicht zu ihm, da mich mein Beruf ans andere Ende von Deutschland zwang. Ich weiß nicht, ob er zu diesem Zeitpunkt wirklich noch weiter leben wollte. Vielleicht wollte er auch nur mir Kraft geben, die nun kommende, schmerzhafte Zeit zu überstehen. Als ich ihn das nächste mal besuchte, hatte sich sein Zustand wesentlich verschlechtert. Am Tag zuvor hatte man ihn in ein künstliches Koma versetzt, da er selbst nicht mehr genug atmen konnte. Der Besuch in seinem Krankenzimmer dauerte für mich nur wenige Minuten, länger hielt ich es nicht aus. Was ich dort sah, empfand ich als eine Vergewaltigung. Sein Körper war an eine Beatmungsmaschine angeschlossen, die in den kleinen hilflosen Körper unaufhörlich Luft presste und wieder absaugte. Sein Gesicht war verkrampft, der Beatmungsschlauch mit einer widerlichen Gummimaske fixiert. Ich ging nach Hause und wünschte mir nur noch, dass diese menschenunwürdige Situation möglichst ein schnelles Ende hat - eine Situation, die so überhaupt nicht meinem Großvater entsprach. Er war sein ganzes Leben hindurch nie ernsthaft krank gewesen und hatte bis zum Schluss selbstständig gelebt. Diese perverse Quälerei, ermöglicht durch die ach so fortschrittliche Intensivmedizin, hatte er nicht verdient. Einige Tage später verstarb er. Ich war erleichtert. Jetzt, nach Monaten, habe ich verstanden, dass mir mein Großvater mit seinem Kampf noch eine wichtige Lehre fürs Leben mitgeben konnte. Die Quälerei war nicht ganz umsonst gewesen. Die Auseinandersetzung mit dem Tod muss man so zeitig als möglich beginnen. Dazu gehört auch, sich klar zu werden, wie man selber sein Leben beenden will. Ich habe mich deshalb in den letzten Monaten z. B. über Patientenverfügungen informiert. Leider ist das kirchlich geprägte Deutschland noch sehr weit von humanen Regelungen entfernt. Letztendlich ist es immer im Ermessen des Arztes, ob er sich an den Patientenwillen hält. Gerade in einer Notsituation, wo man sich nicht bewusst für einen Arzt entscheiden kann, ist dies keine sehr erfreuliche Aussicht. Auch gibt es keine einheitlichen Vorlagen für Patientenverfügungen. Es besteht immer die Gefahr, dass man bestimmte Situationen nicht vorhersieht und dadurch in diesen Situationen die Verfügung wirkungslos ist. Die Auseinandersetzung mit dem Tod gibt Kraft fürs Leben. Man erkennt erst nach solchen Erlebnissen, wie wichtig es ist, jeden Tag zu nutzen und intensiv zu leben. |