Der alte Mann und die Kutsche |
Er ist ein alter Mann, der allein auf der Fahrbank seiner Kutsche sitzt. Die
Peitsche in der einen Hand. In der Anderen das Zuckerbrot. Sein
Körper, vollkommen in sich gesackt. Das Gesicht aufgequollen.
Die Augen leblos. Er selber, stumm wie ein Fisch. Ein dicker Fisch.
Ein Karpfen. Er ist der Guy Roux der Pferdekutscher. Nur die
Wenigsten haben ihn jemals etwas sagen hören. Einige Glückliche.
Doch das ist lange her. Die Zeugen werden weniger. Verstummen. Genau
wie er. Er dreht Runde um Runde auf seiner Kutsche. Von einer
Sehenswürdigkeit zur Nächsten. Tag für Tag. Stunde für
Stunde. Seit nunmehr mindestens dreihundert Jahren. Er wird sie mit
großer Sicherheit alle persönlich gekannt haben. All die
mächtigen Herrscher. All den Glanz und all die Gloria.
Vielleicht ist er auch nur noch in dieser Zeit gefangen? Dekadent
geblendet. Starr vor Erfurcht. Ohne Hoffnung auf Ausweg. Mit an Bord
seiner Kutsche fährt er eine Anlage. Sie spielt ein Tonband mit
einer betagten Frauenstimme. Ständig andauernd. Eine
Verflossene? Das weiß nur er. Doch seine Augen verraten es
nicht. Sie verraten gar nichts. Nicht einmal Müdigkeit. Er ist
schon ein wirklich merkwürdiger alter Mann. Ganz behäbig
hebt er den rechten Arm und deutet in Richtung der Sehenswürdigkeit,
die die Stimme vom Band gerade beschreibt. Dann schwingt er die Zügel
und es geht weiter im Galopp. Weiter zum nächsten kulturellen
Erbe. Wenn der alte Mann irgendwann einmal sterben sollte, dann
sollte es auf der Kutsche geschehen. Gerade wenn er seinen Arm in
Richtung des Schlosses anhebt, würde ihm ein stechender Schmerz
begegnen. Er würde zur Seite hin wegkippen und es wäre aus
mit ihm. Auf der Stelle. Einer wie er verdient keinen schleichenden
Tod. Seine Pferde würden ausscharen. Sie würden sich
jaulend aufrichten, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Schließlich
sind es seine Brüder. Doch keine Angst! Jemand wie er stirbt
nicht so einfach. Jemand wie er stirbt wohl nie. Jemand wie der alte
Mann lebt auf ewig und dreht weiter seine Runden auf der Kutsche.
Runde um Runde. Nur hin und wieder muss er sich mal ausruhen. Um für
den nächsten Tag gewappnet zu sein. Dann schläft er und
träumt vermutlich von den wilden Pferden.
Mac |