Anfrage zum Thema direktdemokratische Elemente

Die nachfolgende Mail sendete ich am 10. Dezember 2003 an die Fraktionen (CDU, SPD, FDP und PDS) des Landtags von Sachsen-Anhalt.
Von : Martin Hedler
Gesendet : Mittwoch, 10. Dezember 2003
An : fraktion@politik-plus.de; lt-fraktion@spd-lsa.de; fraktion.pds@lt.lsa-gw.lsa-net.de; fraktion@fdp-fraktion-lsa.de
Betreff : Anfrage zum Thema direktdemokratische Elemente

Sehr geehrte Damen und Herren,

[...] ich beschäftige mich schon seit einigen Jahren mit den politischen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland. Angefangen hat dies mit der Lektüre des Buches "Vom schönen Schein der Demokratie" von Hans Herbert von Arnim. Von Armin (Professor für Öffentliches Recht und Verfassungslehre an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer) untersucht die demokratischen Strukturen in unserem Staat und vergleicht sie auch mit anderen Staaten. Er fragt auch: Sind die bestehenden Strukturen geeignet die aktuellen Probleme zu bewältigen? Er analysiert dabei sowohl Bundes-, Landes-, und Kommunalebene, als auch die Strukturen der Europäischen Union. Und sein Ergebnis: Wir sind auf den Weg in eine Scheindemokratie.

Grundlegende Voraussetzungen einer Demokratie sind nicht mehr, oder nur noch teilweise vorhanden. So zum Beispiel die schon seit der Aufklärung geforderte Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative. Dies äußert sich zum einen in der starken Bindung von Legislativer und Exekutiver in einem Parlamentarischen System, in der die Mehrheit der Legislativen die Exekutive stützt. Am gravierendsten fällt dieser Umstand jedoch im deutschen Exekutivföderalismus auf. Das Wort Exekutivföderalismus sagt es bereits: Hier übernehmen Regierungen die Aufgabe der Gesetzgebung an den Landesparlamenten vorbei. Der deutsche Föderalismus ist jedoch reich an Fehlentwicklungen, die hier behandelt, den Brief in ein Buch verwandeln würden. Ich möchte nur einen Punkte nennen.

Stichwort Verantwortlichkeit: In einer Demokratie muss der Souverän (zur Erinnerung: Das Volk) wissen wer welche Entscheidung zu Verantworten hat, denn nur so kann es entsprechende Sanktionen ergreifen. Die Verantwortlichkeiten werden jedoch im deutschen Föderalismus bis zur Unkenntlichkeit verwischt. So spielt der Bund auf Landesebene mit und die Länder mischen sich in Bundespolitik ein. Das Wort des Jahres 1997 war "Reformblockade" und diese Blockade spielte (und spielt) sich im Bundesrat ab. Das negative für den Bürger (und das positive für die Politische Klasse) dabei ist, das niemand die Verantwortung zu tragen scheint. Die Bundesregierung schiebt das Scheitern auf den Bundesrat - sie hätte es ja versucht - und der Bundesrat erklärt sein Verhindern damit, dass der Gesetzentwurf untragbar sei. Im Nachhinein kann die Opposition auf Bundesebene der Regierung vorwerfen sie sei handlungsunfähig, was sich im Wahlkampf (der Dank unseres Föderalismus sehr oft stattfindet und immer auch bundespolitische Bedeutung hat (siehe Bundesrat)) immer gut eignet. Vielleicht mögen sich dann und wann die Farben in den Ebenen tauschen, das Spiel bleibt jedoch das selbe.

Hier ist es jetzt eine Anmerkung von mir nötig, sonst mache ich dem Leser das Argumentieren zu einfach. Ich sehe sehr wohl ein, dass in einer Demokratie die Konkurrenz der Ideen vorherrscht und dass richtige, d.h. für das Volk positive Entscheidungen gründlich durchdacht und ausdiskutiert werden müssen und dass sich dieser Vorgang auch über Jahre hinziehen kann. Das diese Art der Demokratie funktioniert, kann man in anderen Ländern sehen wie z.B. den Vereinigten Staaten von Amerika oder der Schweiz. Das Ergebnis solcher funktionierenden Entscheidungsfindungen sind Gesetzte mit denen das Volk zufrieden ist. Ich weiß also sehr wohl, was Demokratien leisten können und was ich von ihnen erwarten kann. Und Deutschland bleibt hinter den Erwartungen zurück, denn mit demokratischen Prinzipien hat das politische Theater in Deutschlands nichts mehr zu tun.

Ich komme zu dem selben Schluss wie von Arnim: Die politischen Institutionen in unserem Land verhindern zunehmend demokratische und performante Entscheidungen und müssen reformiert werden. Das dies zunehmend erkannt wird zeigen die vielen Reformversuche. Ebenso zeigen diese Versuche die Paradoxie dieses Unterfangens, denn genau solche Reformen durchzuführen sind die Institutionen ja eben nicht mehr in der Lage (Ich lasse mich mit Freuden vom Gegenteil überzeugen).

Ich möchte nun mein Augenmerk - und damit auch Ihres - primär auf ein Gebiet der Demokratie richten, von dem ich mir ein Aufbrechen des Reformstaus versprechen: Die direkte Demokratie. Um gleich am Anfang einige der Gegenargumente zu entkräften: Mir geht es nicht um die Ersetzung der bestehenden Strukturen durch direktdemokratische, sondern um die Ergänzung. Und das ist auf Landesebene einfacher als auf Bundesebene, weil hier schon entsprechende Regelungen existieren. Warum also der ganze Aufwand, wenn schon besteht, was gefordert wird? Die Antwort lautet: Weil die bestehenden Regeln nur unzureichend sind. Schauen wir uns die jetzigen Regelungen in Sachen-Anhalt einfach mal an. Ich greife dabei auf das Demokratie-Ranking von "Mehr Demokratie e.V" zurück, was unter www.mehr-demokartie.de zu finden ist, da hier Vergleichsmöglichkeiten gegeben sind.

In diesem Ranking erhält Sachsen-Anhalt die Note 4,35 (ausreichend) und befindet sich damit auf Platz 9 (von 16). Auf dem ersten Platz ist Bayern zu finden mit der Note 2,45 (gut). Diese beiden Bewertungen sind jedoch die Mittelung der Noten für die Bürgerbeteilungen auf Landes- sowie auf Kommunalebene. Schlüsselt man dies nämlich auf, so erhält Sachsen-Anhalt für die direktdemokratischen Elemente auf Landesebene eine 4,0 (Platz 5) und für die Möglichkeiten auf Kommunalebene eine 4,7 (Platz 11 und 12). Während Bayern auf Landesebene eine 3,2 bekommt (Platz 1) und auf Kommunalebene eine 1,7 erreicht (Platz 2, hinter Hamburg).

Was sagen uns alleine diese Noten? Zum einen das es mit der direkten Demokratie in ganz Deutschland auf Landesebene nicht weit her ist, wenn selbst der Spitzenreiter nur ein befriedigend erhält. Zum anderen, dass Sachsen-Anhalt noch nicht einmal dieses mittelmäßige Niveau von Bayern erreicht. Als Idealist könnte ich jetzt rufen: "Sehr gut, dann können wir noch Bayern übertrumpfen." Als Realist musste ich mich schon überwinden die Kraft und Zeit aufzubringen diesen Brief zu schreiben, da mir mein Urteilsvermögen sagt: "Du glaubst doch nicht wirklich, dass das irgendjemanden interessiert?".

Doch zurück zu unserer Ist-Analyse. Schauen wir uns die Daten im Detail an. "Mehr-Demokratie" hat zur Bewertung folgende Einzelkriterien herangezogen: 1) Themenausschlüsse 2) Antrag auf Volksbegehren 3) Volksbegehren 4) Volksentscheid 5) Referendum und 6) weitere Elemente

Zuerst das positive: Sachsen-Anhalt hat in folgenden Bereichen eine bessere Bewertung als Bayern:

Bei den weiteren Elementen erhält Bayern eine 3, während Sachsen- Anhalt eine 2 bekommt, denn in Sachsen Anhalt ist eine Kostenerstattung für Initiatoren vorgesehen, das Parlament kann bei Volksentscheiden eine Konkurrenzvorlage vorlegen, und die Bürger haben die Möglichkeit durch eine Volksinitiative dem Parlament einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Beim Punkt Volksbegehren bekommt Bayern eine 4 während Sachsen-Anhalt eine 3 erhält. Denn obwohl das Unterschriftenquorum bei Sachen-Anhalt (11.9 Prozent) höher ist als in Bayern (10 Prozent), haben die Bürger für die Sammlung der Unterschriften in Sachsen-Anhalt 6 Monate Zeit, während den Bürgern in Bayern nur 2 Wochen zur Verfügung stehen. Außerdem dürfen die Bürger in Sachsen-Anhalt die Unterschriften frei sammeln, während die Bürgern in Bayern ihre Unterschrift nur auf dem Amt abgeben können.

Und der letzte Punkt, bei dem Sachsen-Anhalt vor Bayern liegt sind die Themenausschlüsse. (Was mich persönlich überraschte) Hier erhält Bayern eine 5 während Sachsen-Anhalt gerade noch eine 4 schafft. Beide Länder schließen den Bürger von finanziellen Entscheidungen (Haushalt, Besoldung, Abgaben) aus. In Bayern gibt es darüber hinaus noch eine weitere Restriktion die Verfassungsänderungen erschwert.

Doch freuen sollte man sich darüber nicht. Bloß weil ein anderer Schüler schlechter ist als ich, kann ich nicht mit mir zufrieden sein, wenn ich selbst nur eine 3 oder gar eine 4 habe.

In einem Punkt bekommen beide Länder ein "gut". Beim Antrag auf Volksbegehren: Das Unterschriftenquorum liegt in Sachsen-Anhalt bei 0.5, in Bayern bei 0.3 Prozent. Während in Bayern keine Frist für die Unterschriftensammlung vorgesehen ist, lässt Sachsen-Anhalt den Initiatoren 6 Monate Zeit. Und in beiden Ländern muss sich nicht das Parlament mit dem Antrag beschäftigen.

Wo liegt Sachsen-Anhalt hinten? Zum einen beim Volksentscheid. Hier kann Bayern eine 2 abstauben, während Sachsen-Anhalt eine 5 erhält. Selbst bei einfachen Gesetzten muss in Sachsen-Anhalt ein Zustimmungsquorum von 25 Prozent erreicht werden (d.h. 25 Prozent aller Wahlberechtigten müssen zustimmen). In Bayern gibt es kein Quorum für einfache Gesetze. Dort zählt die einfache Mehrheit. Und bei Verfassungsänderungen muss in Sachsen-Anhalt ein Zustimmungsquorum von 50 Prozent erreicht werden, plus eine 2/3 Mehrheit, während Bayern nur ein 25 prozentiges Zustimmungsquorum verlangt. Gebe es diese Quorum nicht, bzw. wäre es niedriger, hätte Bayern hier sogar eine 1 bekommen.

Ganz schlecht sieht es beim Referendum aus. Bayern bekommt hier eine 2, da bei einer Verfassungsänderung das Volk gefragt werden muss. Sachsen-Anhalt besitzt gar keine Referendumsmöglichkeit und erhält damit eine 6.

Nach diesem Schnellvergleich stellt sich die Frage, was will ich eigentlich von Ihnen? Ich möchte von Ihnen Antworten auf nachstehende Fragen:

  1. Warum besitzt Sachsen-Anhalt solche restriktiven direktdemokratische Elemente? Ich möchte hier wissen, warum Sie nicht weitergehen und nicht mindestens auf den bayrischen Standard aufschließen (gegen noch weitergehende Maßnahmen hätte ich auch nichts einzuwenden)?
  2. Sind in naher Zukunft (noch vor der nächsten Wahl in Sachsen- Anhalt) von Ihrer Seite Änderungen diesbezüglich zu erwarten?
  3. Wie sehen diese aus?
  4. Was spricht gegen die Aufhebung des Finanztabus?
  5. Und wenn Sie den direktdemokratischen Elementen gegenüber generell negativ eingestellt sein sollten, warum ist das so?

Um Ihnen zu ersparen mir Argumente zu schicken deren Gegenargumente mir bereits bekannt sind, beantworte ich gleich in diesem Brief einige Einwände. Man kann sich institutionellen Fragen sowohl theoretisch, als auch empirisch nähern. Da die Praxis interessanter, weil auch belegt ist, folgen nun einige Erfahrungen, die mit direktdemokratischen Elementen gewonnen wurden.

1) Geringere Verschuldung
"Es gibt empirische Belege dafür, dass direkte Demokratie tendenziell zu geringerer Verschuldung neigt als rein repräsentative Demokratie. So gelangt eine vergleichende Untersuchung über den Schuldenstand in den US-Bundesstaaten (pro Kopf der Bevölkerung) in den Jahren 1961 bis 1990 zu dem Ergebnis, dass der Schuldenstand in denjenigen Staaten, in denen die Nettoneuverschuldung ein Referendum passieren muss, um mehr als ein Drittel niedriger war (166 US-Dollar) als im Durchschnitt aller Bundesstaaten (267 US-Dollar), ohne dass deshalb Staatsaufgaben auf die lokale Ebene verlagert worden wären." [1] "Die Feststellung, dass direkte Demokratie zu geringerer Verschuldung neigt als repräsentative Institutionen, ist deshalb besonders bemerkenswert, weil häufig befürchtet wird, mehr Demokratie führe zu einer Vernachlässigung von Zukunftsinteressen (im Vergleich zur repräsentativen Demokratie). Tatsächlich schein das Gegenteil der Fall zu sein. Hier scheint sich zu bestätigen, dass die Bürger, wenn sie direkt abstimmen, keinesfalls primär ihre eigennützigen Interessen im Auge haben, sondern die der zukünftigen Generationen, das heißt, die Interessen ihrer Kinder und Enkel angemessen mitberücksichtigen, und zwar typischerweise mehr als dies 'Repräsentanten' tun." [2]

2) Sinken von Abgaben
"Steuern können als Konsequenz direktdemokratischer Institutionen sinken, notwendig ist dies aber nicht; vielmehr können sie unter anderem als Folge geringerer Verschuldung durchaus auch steigen. Das scheint sogar die Regel zu sein. In einer Untersuchung der 131 größten Schweizer Städte hatten diejenigen Städte mit Budgetreferendum zwar im Durchschnitt deutlich niedrigere Staatsausgaben (minus 14 Prozent), finanzierten diese aber zu einem erheblich größeren Teil aus Abgaben als aus Kreditaufnahme mit der Folge, dass die öffentliche Verschuldung geringer, die Steuern dagegen höher waren." [3]

3) Höhere Wirtschaftlichkeit
"Eine wichtige Aussage ist auch, dass die Organe von Staat und Gemeinden, wenn sie unter dem Druck direktdemokratischer Institutionen stehen, zu größerer Wirtschaftlichkeit (Effizienz) tendieren. Eine Untersuchung, die die Müllabfuhr in den 113 größten Schweizer Städten im Jahre 1970 betraf, ergab, dass die Müllabfuhr um so effizienter ausgestaltet war, je direktdemokratischer die kommunale Entscheidungsstruktur war." [4] "Die durchschnittlichen Abfuhrkosten waren am höchsten in Städten mit repräsentativer Demokratie und öffentlicher Müllabfuhr, und zwar um 30 Prozent höher als in Städten mit direktdemokratischer Demokratie und privater Müllabfuhr." [5]

4) Mehr Ausgabe für Bildung
"Bei den Ausgaben für Bildung deuten die vorliegenden Untersuchungen dahin, dass direkte Demokratie tendenziell zu Steigerungen führt." [6] "Eine vergleichende Untersuchung amerikanischer Städte kommt zum Ergebnis, dass die Bildungsausgaben in Städten mit direktdemokratischen Elementen höher sind als in anderen." [7] "Hier wird die größere Gemeinwohlorientierung repräsentativer Entscheidungsmechanismen einmal mehr in Frage gestellt." [8]

5) Größere Bürgerzufriedenheit
"Ein weiteres Indiz geht dahin, dass mit zunehmenden Volksrechten das Ausmaß der Steuerhinterziehung tendenziell sinkt." [9] "Auch die Bodenpreise steigen mit direktdemokratischen Einrichtungen. Den vermuteten gedanklichen Zusammenhang formuliert der Lausanner Politikökonom Reiner Eichenberger so: 'Sowohl Steuerhinterziehung wie Bodenpreise sind gute Indikatoren für Zufriedenheit. Denn dort, wo der Staat gut funktioniert, zahlen die Leute weniger ungern Steuern, und dort wollen sie wohnen - was die Bodenpreise steigen lässt.'" [10]

Soviel zu den empirischen Daten. Ich möchte nun noch auf einige anderer Gegenargumente eingehen.

6) "Das Volk ist zu dumm!
So platt kommt dieses Argument natürlich nur selten daher. Statt dessen ist zu hören, das Volk sei nicht kompetent genug, die Themen werden komplexer usw. Die Annahme, das Volk besäße nicht die nötige Intelligenz für politische Entscheidungen, ist ein altes Argument gegen jede Form der Demokratie. Es wurde schon gegen die Einführung der parlamentarischen Demokratie und des Frauenwahlrechtes angeführt. Die Geschichte zeigt jedoch, dass die Menschen zu politischen Entscheidungen fähig sind. Vor Volksentscheiden finden intensive Diskussionen statt. Hier besteht viel eher die Chance, sich eine Meinung zu bilden, als dies bei Wahlen der Fall ist. Denn bei Volksentscheiden geht es um ein Thema, bei Wahlen werden mehrere Themen, häufig auf oberflächliche Weise, behandelt. Die Abstimmenden sind natürlich unterschiedlich gut informiert. Die eine möchte es ganz genau wissen, ein anderer begnügt sich damit, dass seine favorisierte Partei oder der Verband seines Vertrauens eine bestimmte Sache unterstützt. Es ist ein Irrglauben, die Abgeordneten seien in allen Fragen umfassend informiert. Sie entscheiden meist nach Fraktionszwang. Die Bürger kennen keinen Fraktionszwang. Mehr Demokratie schlägt zudem vor, dass jeder Wahlberechtigte ein Abstimmungsheft erhält. In diesem wird das Thema des Volksentscheids mit Pro- und Contra-Argumenten leicht verständlich dargestellt."
[11]

7) "Die Bürger sind leicht manipulierbar!
Manipulation ist kein spezielles Problem des Volksentscheids, sondern der gesamten Demokratie. Denken wir nur an den großen Einfluss von Lobbygruppen in den Parlamenten. Wie lange hat etwa die Agrar-Lobby ein Vorgehen gegen BSE verhindert! Auch Volksentscheide können manipuliert werden. Studien aus den USA zeigen aber, dass der Einfluss von Lobbygruppen begrenzt ist. Grosse Verbände sind gegen die direkte Demokratie, weil sie wissen, dass sie ihre Interessen im Parlament besser durchsetzen können. Die lange öffentliche Diskussion vor einem Volksentscheid und ein ausgewogenes Informationsheft tragen zu einer sachlichen Abstimmung bei. Anders als in den USA sind in Deutschland politische Werbespots in Radio und TV verboten - ein wichtiges Manipulationsmittel entfällt. Wer schon einmal einen Abstimmungskampf in der Schweiz erlebt hat, weiß, dass Volksentscheide zu einer Versachlichung der öffentlichen Diskussion führen. Die Medien berichten erstaunlich ausgewogen."
[11]

8) Der Minderheitenschutz wird gefährdet!
Der Minderheitenschutz ist keine Frage der politischen Entscheidungsfindung, sondern der Rechtsstaatlichkeit. Die Gefahr, dass bei einem Volksbegehren eine minderheitendiskriminierende Entscheidung getroffen wird, ist genauso groß, wie die, dass solch eine Entscheidung von einem Parlament getroffen wird. Die Mittel, die dies verhindern sollen, sind bei beiden die selben. "Es gibt Beispiele aus der Schweiz und den USA, in denen Minderheiten, z.B. Ausländer, durch Volksentscheide diskriminiert wurden. Aber: das Volk gebärdet sich nicht minderheitenfeindlicher als die Parlamente. Auch Politiker verletzen immer wieder die Rechte kleiner, schwacher Gruppen. Der direkten Demokratie ist ein Schutzmechanismus eingebaut: Volksbegehren, die gegen die Grundrechte verstoßen, werden schon im Vorfeld gestoppt. Jede Initiative wird im Zweifel vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Grundsätzlich aber gilt: Das Herzstück der Demokratie ist die Diskussion. Problemen, denen wir heute in der Gesellschaft begegnen, kann nicht ohne Gespräche entgegengetreten werden. Verschweigen, leugnen oder beschönigen wird solche Probleme nicht lösen. Wenn sich menschenfeindliche Initiativen herausbilden, dann ist es die Aufgabe der Gegner, diesen Kräften offensiv entgegenzutreten und dafür zu sorgen, dass die Mehrheit auf ihrer Seite steht. Der Volksentscheid verursacht die Konflikte nicht, sondern er deckt sie auf!" [11]

9) "Minderheiten zwingen der Mehrheit ihren Willen auf!
Es wird behauptet, dass an vielen Abstimmungen nur die Betroffenen teilnehmen. Die 'schweigende Mehrheit' müsse dann die Entscheidungen der 'Minderheit' hinnehmen. Diesem Argument liegt ein Bürger-Schlafmützen- Modell zugrunde. Jeder Stimmberechtigte hat die Chance, an einem Volksentscheid teilzunehmen. Das wird er auch tun, wenn ihm das Thema ein Anliegen ist. Wer sich der Stimme enthält, tut dies aus freier Entscheidung. Erfahrungen aus der Schweiz und den USA zeigen, dass mit einer durchschnittlichen Beteiligung von 40% gerechnet werden kann. Die Bürgerinnen und Bürger haben damit übrigens kein Problem: Auch Volksentscheide mit eher geringer Beteiligung werden akzeptiert. Für die Menschen zählt die Möglichkeit, mitzumachen."
[11]

10) "Die bisherigen Volksrechte reichen völlig aus!
Engagierte Menschen wissen um den Frust, der entsteht, wenn man nur als Bittsteller an Politiker herantreten kann. Der Sachverstand der vielen Verbände und Initiativen verpufft. Volksrechte wie das Petitionsrecht sind fast ausschließlich 'Bittstellerrechte'. Die Entscheidungen treffen die Politiker - auch wenn die Bürger etwas anderes wollen."
[11]

11) "Probleme werden auf Ja-/Nein-Entscheidungen verkürzt!
Jede Entscheidung wird am Ende auf Ja/Nein verkürzt. Das ist auch im Bundestag der Fall. Die Volksgesetzgebung soll nach den Vorstellungen von Mehr Demokratie Kompromisse zulassen. Die Initiatoren haben die Möglichkeit, nach der Volksinitiative - das ist der erste Schritt der Volksgesetzgebung - ihren Vorschlag zu verändern, sodass Ergebnisse aus der Diskussion mit dem Parlament berücksichtigt werden können. Zudem hat das Parlament das Recht, einen eigenen Vorschlag (Konkurrenzvorlage) zum Volksentscheid vorzulegen. Dadurch erhält die Bevölkerung mehr Auswahlmöglichkeiten. Die Volksabstimmung wird flexibler."
[11]

Soviel also zu den von mir ausgewählten Gegenargumenten. Falls Sie inzwischen die Übersicht verloren haben, wiederhole ich noch einmal meine Fragen:

  1. Warum besitzt Sachsen-Anhalt solche restriktiven direktdemokratische Elemente? Ich möchte hier wissen, warum Sie nicht weitergehen und nicht mindestens auf den bayrischen Standard aufschließen (gegen noch weitergehende Maßnahmen hätte ich auch nichts einzuwenden)?
  2. Sind in naher Zukunft (noch vor der nächsten Wahl in Sachsen- Anhalt) von Ihrer Seite Änderungen diesbezüglich zu erwarten?
  3. Wie sehen diese aus?
  4. Was spricht gegen die Aufhebung des Finanztabus?
  5. Und wenn Sie den direktdemokratischen Elementen gegenüber generell negativ eingestellt sein sollten, warum ist das so?

Ich hoffe Sie können mir meine Fragen beantworten.

Mit freundlichen Grüßen Martin Hedler


Quellen:

Buchcover

Vom Schönen Schein der Demokratie

von Hans Herbert von Arnim

Preis: 9,90 Euro
ISBN: 3426775387
Verlag: Droemer Knaur
Seiten: 409
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amazon.de

[1] Vom Schönen Schein der Demokratie, Hans Herbert von Arnim, 2002, S. 295
[2] s.o., S. 296
[3] s.o., S. 296
[4] s.o., S. 297
[5] s.o., S. 298
[6] s.o., S. 298
[7] s.o., S. 298
[8] s.o., S. 298
[9] s.o., S. 299
[10] s.o., S. 299
[11] http://mehr-demokratie.de/bu/dd/contra.htm

 

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letzte Änderung: 04.02.2005
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