Von | : | Martin Hedler |
Gesendet | : | Mittwoch, 10. Dezember 2003 |
An | : | fraktion@politik-plus.de; lt-fraktion@spd-lsa.de; fraktion.pds@lt.lsa-gw.lsa-net.de; fraktion@fdp-fraktion-lsa.de |
Betreff | : | Anfrage zum Thema direktdemokratische Elemente |
Sehr geehrte Damen und Herren,
[...] ich beschäftige mich schon seit einigen Jahren mit den politischen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland. Angefangen hat dies mit der Lektüre des Buches "Vom schönen Schein der Demokratie" von Hans Herbert von Arnim. Von Armin (Professor für Öffentliches Recht und Verfassungslehre an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer) untersucht die demokratischen Strukturen in unserem Staat und vergleicht sie auch mit anderen Staaten. Er fragt auch: Sind die bestehenden Strukturen geeignet die aktuellen Probleme zu bewältigen? Er analysiert dabei sowohl Bundes-, Landes-, und Kommunalebene, als auch die Strukturen der Europäischen Union. Und sein Ergebnis: Wir sind auf den Weg in eine Scheindemokratie.
Grundlegende Voraussetzungen einer Demokratie sind nicht mehr, oder nur noch teilweise vorhanden. So zum Beispiel die schon seit der Aufklärung geforderte Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative. Dies äußert sich zum einen in der starken Bindung von Legislativer und Exekutiver in einem Parlamentarischen System, in der die Mehrheit der Legislativen die Exekutive stützt. Am gravierendsten fällt dieser Umstand jedoch im deutschen Exekutivföderalismus auf. Das Wort Exekutivföderalismus sagt es bereits: Hier übernehmen Regierungen die Aufgabe der Gesetzgebung an den Landesparlamenten vorbei. Der deutsche Föderalismus ist jedoch reich an Fehlentwicklungen, die hier behandelt, den Brief in ein Buch verwandeln würden. Ich möchte nur einen Punkte nennen.
Stichwort Verantwortlichkeit: In einer Demokratie muss der Souverän (zur Erinnerung: Das Volk) wissen wer welche Entscheidung zu Verantworten hat, denn nur so kann es entsprechende Sanktionen ergreifen. Die Verantwortlichkeiten werden jedoch im deutschen Föderalismus bis zur Unkenntlichkeit verwischt. So spielt der Bund auf Landesebene mit und die Länder mischen sich in Bundespolitik ein. Das Wort des Jahres 1997 war "Reformblockade" und diese Blockade spielte (und spielt) sich im Bundesrat ab. Das negative für den Bürger (und das positive für die Politische Klasse) dabei ist, das niemand die Verantwortung zu tragen scheint. Die Bundesregierung schiebt das Scheitern auf den Bundesrat - sie hätte es ja versucht - und der Bundesrat erklärt sein Verhindern damit, dass der Gesetzentwurf untragbar sei. Im Nachhinein kann die Opposition auf Bundesebene der Regierung vorwerfen sie sei handlungsunfähig, was sich im Wahlkampf (der Dank unseres Föderalismus sehr oft stattfindet und immer auch bundespolitische Bedeutung hat (siehe Bundesrat)) immer gut eignet. Vielleicht mögen sich dann und wann die Farben in den Ebenen tauschen, das Spiel bleibt jedoch das selbe.
Hier ist es jetzt eine Anmerkung von mir nötig, sonst mache ich dem Leser das Argumentieren zu einfach. Ich sehe sehr wohl ein, dass in einer Demokratie die Konkurrenz der Ideen vorherrscht und dass richtige, d.h. für das Volk positive Entscheidungen gründlich durchdacht und ausdiskutiert werden müssen und dass sich dieser Vorgang auch über Jahre hinziehen kann. Das diese Art der Demokratie funktioniert, kann man in anderen Ländern sehen wie z.B. den Vereinigten Staaten von Amerika oder der Schweiz. Das Ergebnis solcher funktionierenden Entscheidungsfindungen sind Gesetzte mit denen das Volk zufrieden ist. Ich weiß also sehr wohl, was Demokratien leisten können und was ich von ihnen erwarten kann. Und Deutschland bleibt hinter den Erwartungen zurück, denn mit demokratischen Prinzipien hat das politische Theater in Deutschlands nichts mehr zu tun.
Ich komme zu dem selben Schluss wie von Arnim: Die politischen Institutionen in unserem Land verhindern zunehmend demokratische und performante Entscheidungen und müssen reformiert werden. Das dies zunehmend erkannt wird zeigen die vielen Reformversuche. Ebenso zeigen diese Versuche die Paradoxie dieses Unterfangens, denn genau solche Reformen durchzuführen sind die Institutionen ja eben nicht mehr in der Lage (Ich lasse mich mit Freuden vom Gegenteil überzeugen).
Ich möchte nun mein Augenmerk - und damit auch Ihres - primär auf ein Gebiet der Demokratie richten, von dem ich mir ein Aufbrechen des Reformstaus versprechen: Die direkte Demokratie. Um gleich am Anfang einige der Gegenargumente zu entkräften: Mir geht es nicht um die Ersetzung der bestehenden Strukturen durch direktdemokratische, sondern um die Ergänzung. Und das ist auf Landesebene einfacher als auf Bundesebene, weil hier schon entsprechende Regelungen existieren. Warum also der ganze Aufwand, wenn schon besteht, was gefordert wird? Die Antwort lautet: Weil die bestehenden Regeln nur unzureichend sind. Schauen wir uns die jetzigen Regelungen in Sachen-Anhalt einfach mal an. Ich greife dabei auf das Demokratie-Ranking von "Mehr Demokratie e.V" zurück, was unter www.mehr-demokartie.de zu finden ist, da hier Vergleichsmöglichkeiten gegeben sind.
In diesem Ranking erhält Sachsen-Anhalt die Note 4,35 (ausreichend) und befindet sich damit auf Platz 9 (von 16). Auf dem ersten Platz ist Bayern zu finden mit der Note 2,45 (gut). Diese beiden Bewertungen sind jedoch die Mittelung der Noten für die Bürgerbeteilungen auf Landes- sowie auf Kommunalebene. Schlüsselt man dies nämlich auf, so erhält Sachsen-Anhalt für die direktdemokratischen Elemente auf Landesebene eine 4,0 (Platz 5) und für die Möglichkeiten auf Kommunalebene eine 4,7 (Platz 11 und 12). Während Bayern auf Landesebene eine 3,2 bekommt (Platz 1) und auf Kommunalebene eine 1,7 erreicht (Platz 2, hinter Hamburg).
Was sagen uns alleine diese Noten? Zum einen das es mit der direkten Demokratie in ganz Deutschland auf Landesebene nicht weit her ist, wenn selbst der Spitzenreiter nur ein befriedigend erhält. Zum anderen, dass Sachsen-Anhalt noch nicht einmal dieses mittelmäßige Niveau von Bayern erreicht. Als Idealist könnte ich jetzt rufen: "Sehr gut, dann können wir noch Bayern übertrumpfen." Als Realist musste ich mich schon überwinden die Kraft und Zeit aufzubringen diesen Brief zu schreiben, da mir mein Urteilsvermögen sagt: "Du glaubst doch nicht wirklich, dass das irgendjemanden interessiert?".
Doch zurück zu unserer Ist-Analyse. Schauen wir uns die Daten im Detail an. "Mehr-Demokratie" hat zur Bewertung folgende Einzelkriterien herangezogen: 1) Themenausschlüsse 2) Antrag auf Volksbegehren 3) Volksbegehren 4) Volksentscheid 5) Referendum und 6) weitere Elemente
Zuerst das positive: Sachsen-Anhalt hat in folgenden Bereichen eine bessere Bewertung als Bayern:
Bei den weiteren Elementen erhält Bayern eine 3, während Sachsen- Anhalt eine 2 bekommt, denn in Sachsen Anhalt ist eine Kostenerstattung für Initiatoren vorgesehen, das Parlament kann bei Volksentscheiden eine Konkurrenzvorlage vorlegen, und die Bürger haben die Möglichkeit durch eine Volksinitiative dem Parlament einen Gesetzentwurf vorzulegen.
Beim Punkt Volksbegehren bekommt Bayern eine 4 während Sachsen-Anhalt eine 3 erhält. Denn obwohl das Unterschriftenquorum bei Sachen-Anhalt (11.9 Prozent) höher ist als in Bayern (10 Prozent), haben die Bürger für die Sammlung der Unterschriften in Sachsen-Anhalt 6 Monate Zeit, während den Bürgern in Bayern nur 2 Wochen zur Verfügung stehen. Außerdem dürfen die Bürger in Sachsen-Anhalt die Unterschriften frei sammeln, während die Bürgern in Bayern ihre Unterschrift nur auf dem Amt abgeben können.
Und der letzte Punkt, bei dem Sachsen-Anhalt vor Bayern liegt sind die Themenausschlüsse. (Was mich persönlich überraschte) Hier erhält Bayern eine 5 während Sachsen-Anhalt gerade noch eine 4 schafft. Beide Länder schließen den Bürger von finanziellen Entscheidungen (Haushalt, Besoldung, Abgaben) aus. In Bayern gibt es darüber hinaus noch eine weitere Restriktion die Verfassungsänderungen erschwert.
Doch freuen sollte man sich darüber nicht. Bloß weil ein anderer Schüler schlechter ist als ich, kann ich nicht mit mir zufrieden sein, wenn ich selbst nur eine 3 oder gar eine 4 habe.
In einem Punkt bekommen beide Länder ein "gut". Beim Antrag auf Volksbegehren: Das Unterschriftenquorum liegt in Sachsen-Anhalt bei 0.5, in Bayern bei 0.3 Prozent. Während in Bayern keine Frist für die Unterschriftensammlung vorgesehen ist, lässt Sachsen-Anhalt den Initiatoren 6 Monate Zeit. Und in beiden Ländern muss sich nicht das Parlament mit dem Antrag beschäftigen.
Wo liegt Sachsen-Anhalt hinten? Zum einen beim Volksentscheid. Hier kann Bayern eine 2 abstauben, während Sachsen-Anhalt eine 5 erhält. Selbst bei einfachen Gesetzten muss in Sachsen-Anhalt ein Zustimmungsquorum von 25 Prozent erreicht werden (d.h. 25 Prozent aller Wahlberechtigten müssen zustimmen). In Bayern gibt es kein Quorum für einfache Gesetze. Dort zählt die einfache Mehrheit. Und bei Verfassungsänderungen muss in Sachsen-Anhalt ein Zustimmungsquorum von 50 Prozent erreicht werden, plus eine 2/3 Mehrheit, während Bayern nur ein 25 prozentiges Zustimmungsquorum verlangt. Gebe es diese Quorum nicht, bzw. wäre es niedriger, hätte Bayern hier sogar eine 1 bekommen.
Ganz schlecht sieht es beim Referendum aus. Bayern bekommt hier eine 2, da bei einer Verfassungsänderung das Volk gefragt werden muss. Sachsen-Anhalt besitzt gar keine Referendumsmöglichkeit und erhält damit eine 6.
Nach diesem Schnellvergleich stellt sich die Frage, was will ich eigentlich von Ihnen? Ich möchte von Ihnen Antworten auf nachstehende Fragen:
Um Ihnen zu ersparen mir Argumente zu schicken deren Gegenargumente mir bereits bekannt sind, beantworte ich gleich in diesem Brief einige Einwände. Man kann sich institutionellen Fragen sowohl theoretisch, als auch empirisch nähern. Da die Praxis interessanter, weil auch belegt ist, folgen nun einige Erfahrungen, die mit direktdemokratischen Elementen gewonnen wurden.
1) Geringere Verschuldung
"Es gibt empirische Belege dafür, dass
direkte Demokratie tendenziell zu geringerer Verschuldung neigt als
rein repräsentative Demokratie. So gelangt eine vergleichende
Untersuchung über den Schuldenstand in den US-Bundesstaaten (pro Kopf
der Bevölkerung) in den Jahren 1961 bis 1990 zu dem Ergebnis, dass
der Schuldenstand in denjenigen Staaten, in denen die
Nettoneuverschuldung ein Referendum passieren muss, um mehr als ein
Drittel niedriger war (166 US-Dollar) als im Durchschnitt aller
Bundesstaaten (267 US-Dollar), ohne dass deshalb Staatsaufgaben auf
die lokale Ebene verlagert worden wären." [1]
"Die Feststellung, dass
direkte Demokratie zu geringerer Verschuldung neigt als repräsentative
Institutionen, ist deshalb besonders bemerkenswert, weil häufig
befürchtet wird, mehr Demokratie führe zu einer
Vernachlässigung von
Zukunftsinteressen (im Vergleich zur repräsentativen Demokratie).
Tatsächlich schein das Gegenteil der Fall zu sein. Hier scheint sich
zu bestätigen, dass die Bürger, wenn sie direkt abstimmen,
keinesfalls
primär ihre eigennützigen Interessen im Auge haben, sondern die
der
zukünftigen Generationen, das heißt, die Interessen ihrer Kinder
und
Enkel angemessen mitberücksichtigen, und zwar typischerweise mehr als
dies 'Repräsentanten' tun." [2]
2) Sinken von Abgaben
"Steuern können als Konsequenz
direktdemokratischer Institutionen sinken, notwendig ist dies aber
nicht; vielmehr können sie unter anderem als Folge geringerer
Verschuldung durchaus auch steigen. Das scheint sogar die Regel zu
sein. In einer Untersuchung der 131 größten Schweizer Städte
hatten
diejenigen Städte mit Budgetreferendum zwar im Durchschnitt deutlich
niedrigere Staatsausgaben (minus 14 Prozent), finanzierten diese aber
zu einem erheblich größeren Teil aus Abgaben als aus
Kreditaufnahme
mit der Folge, dass die öffentliche Verschuldung geringer, die Steuern
dagegen höher waren." [3]
3) Höhere Wirtschaftlichkeit
"Eine wichtige Aussage ist auch, dass die
Organe von Staat und Gemeinden, wenn sie unter dem Druck
direktdemokratischer Institutionen stehen, zu größerer
Wirtschaftlichkeit (Effizienz) tendieren. Eine Untersuchung, die die
Müllabfuhr in den 113 größten Schweizer Städten im
Jahre 1970 betraf,
ergab, dass die Müllabfuhr um so effizienter ausgestaltet war, je
direktdemokratischer die kommunale Entscheidungsstruktur war." [4]
"Die durchschnittlichen Abfuhrkosten waren am höchsten in
Städten mit
repräsentativer Demokratie und öffentlicher Müllabfuhr, und
zwar um 30
Prozent höher als in Städten mit direktdemokratischer Demokratie
und
privater Müllabfuhr." [5]
4) Mehr Ausgabe für Bildung
"Bei den Ausgaben für Bildung deuten die
vorliegenden Untersuchungen dahin, dass direkte Demokratie tendenziell
zu Steigerungen führt." [6]
"Eine vergleichende Untersuchung
amerikanischer Städte kommt zum Ergebnis, dass die Bildungsausgaben in
Städten mit direktdemokratischen Elementen höher sind als in
anderen."
[7]
"Hier wird die größere Gemeinwohlorientierung
repräsentativer
Entscheidungsmechanismen einmal mehr in Frage gestellt." [8]
5) Größere Bürgerzufriedenheit
"Ein weiteres Indiz geht dahin, dass
mit zunehmenden Volksrechten das Ausmaß der Steuerhinterziehung
tendenziell sinkt." [9]
"Auch die Bodenpreise steigen mit
direktdemokratischen Einrichtungen. Den vermuteten gedanklichen
Zusammenhang formuliert der Lausanner Politikökonom Reiner
Eichenberger so: 'Sowohl Steuerhinterziehung wie Bodenpreise sind gute
Indikatoren für Zufriedenheit. Denn dort, wo der Staat gut
funktioniert, zahlen die Leute weniger ungern Steuern, und dort wollen
sie wohnen - was die Bodenpreise steigen lässt.'" [10]
Soviel zu den empirischen Daten. Ich möchte nun noch auf einige anderer Gegenargumente eingehen.
6) "Das Volk ist zu dumm!
So platt kommt dieses Argument natürlich nur
selten daher. Statt dessen ist zu hören, das Volk sei nicht kompetent
genug, die Themen werden komplexer usw. Die Annahme, das Volk
besäße
nicht die nötige Intelligenz für politische Entscheidungen, ist
ein
altes Argument gegen jede Form der Demokratie. Es wurde schon gegen
die Einführung der parlamentarischen Demokratie und des
Frauenwahlrechtes angeführt. Die Geschichte zeigt jedoch, dass die
Menschen zu politischen Entscheidungen fähig sind. Vor
Volksentscheiden finden intensive Diskussionen statt. Hier besteht
viel eher die Chance, sich eine Meinung zu bilden, als dies bei Wahlen
der Fall ist. Denn bei Volksentscheiden geht es um ein Thema, bei
Wahlen werden mehrere Themen, häufig auf oberflächliche Weise,
behandelt. Die Abstimmenden sind natürlich unterschiedlich gut
informiert. Die eine möchte es ganz genau wissen, ein anderer
begnügt
sich damit, dass seine favorisierte Partei oder der Verband seines
Vertrauens eine bestimmte Sache unterstützt. Es ist ein Irrglauben,
die Abgeordneten seien in allen Fragen umfassend informiert. Sie
entscheiden meist nach Fraktionszwang. Die Bürger kennen keinen
Fraktionszwang. Mehr Demokratie schlägt zudem vor, dass jeder
Wahlberechtigte ein Abstimmungsheft erhält. In diesem wird das Thema
des Volksentscheids mit Pro- und Contra-Argumenten leicht verständlich
dargestellt." [11]
7) "Die Bürger sind leicht manipulierbar!
Manipulation ist kein
spezielles Problem des Volksentscheids, sondern der gesamten
Demokratie. Denken wir nur an den großen Einfluss von Lobbygruppen in
den Parlamenten. Wie lange hat etwa die Agrar-Lobby ein Vorgehen gegen
BSE verhindert! Auch Volksentscheide können manipuliert werden.
Studien aus den USA zeigen aber, dass der Einfluss von Lobbygruppen
begrenzt ist. Grosse Verbände sind gegen die direkte Demokratie, weil
sie wissen, dass sie ihre Interessen im Parlament besser durchsetzen
können. Die lange öffentliche Diskussion vor einem Volksentscheid
und
ein ausgewogenes Informationsheft tragen zu einer sachlichen
Abstimmung bei. Anders als in den USA sind in Deutschland politische
Werbespots in Radio und TV verboten - ein wichtiges
Manipulationsmittel entfällt. Wer schon einmal einen Abstimmungskampf
in der Schweiz erlebt hat, weiß, dass Volksentscheide zu einer
Versachlichung der öffentlichen Diskussion führen. Die Medien
berichten erstaunlich ausgewogen." [11]
8) Der Minderheitenschutz wird gefährdet!
Der Minderheitenschutz ist
keine Frage der politischen Entscheidungsfindung, sondern der
Rechtsstaatlichkeit. Die Gefahr, dass bei einem Volksbegehren eine
minderheitendiskriminierende Entscheidung getroffen wird, ist genauso
groß, wie die, dass solch eine Entscheidung von einem Parlament
getroffen wird. Die Mittel, die dies verhindern sollen, sind bei
beiden die selben. "Es gibt Beispiele aus der Schweiz und den USA,
in denen Minderheiten, z.B. Ausländer, durch Volksentscheide
diskriminiert wurden. Aber: das Volk gebärdet sich nicht
minderheitenfeindlicher als die Parlamente. Auch Politiker verletzen
immer wieder die Rechte kleiner, schwacher Gruppen. Der direkten
Demokratie ist ein Schutzmechanismus eingebaut: Volksbegehren, die
gegen die Grundrechte verstoßen, werden schon im Vorfeld gestoppt.
Jede Initiative wird im Zweifel vom Bundesverfassungsgericht
überprüft. Grundsätzlich aber gilt: Das Herzstück der
Demokratie ist
die Diskussion. Problemen, denen wir heute in der Gesellschaft
begegnen, kann nicht ohne Gespräche entgegengetreten werden.
Verschweigen, leugnen oder beschönigen wird solche Probleme nicht
lösen. Wenn sich menschenfeindliche Initiativen herausbilden, dann ist
es die Aufgabe der Gegner, diesen Kräften offensiv entgegenzutreten
und dafür zu sorgen, dass die Mehrheit auf ihrer Seite steht. Der
Volksentscheid verursacht die Konflikte nicht, sondern er deckt sie
auf!" [11]
9) "Minderheiten zwingen der Mehrheit ihren Willen auf!
Es wird behauptet, dass an vielen Abstimmungen nur die Betroffenen
teilnehmen.
Die 'schweigende Mehrheit' müsse dann die Entscheidungen der
'Minderheit' hinnehmen. Diesem Argument liegt ein
Bürger-Schlafmützen-
Modell zugrunde. Jeder Stimmberechtigte hat die Chance, an einem
Volksentscheid teilzunehmen. Das wird er auch tun, wenn ihm das Thema
ein Anliegen ist. Wer sich der Stimme enthält, tut dies aus freier
Entscheidung. Erfahrungen aus der Schweiz und den USA zeigen, dass mit
einer durchschnittlichen Beteiligung von 40% gerechnet werden kann.
Die Bürgerinnen und Bürger haben damit übrigens kein Problem:
Auch
Volksentscheide mit eher geringer Beteiligung werden akzeptiert. Für
die Menschen zählt die Möglichkeit, mitzumachen." [11]
10) "Die bisherigen Volksrechte reichen völlig aus!
Engagierte Menschen wissen um den Frust, der entsteht, wenn man nur als
Bittsteller an Politiker herantreten kann. Der Sachverstand der vielen
Verbände und Initiativen verpufft. Volksrechte wie das Petitionsrecht
sind fast ausschließlich 'Bittstellerrechte'. Die Entscheidungen
treffen die Politiker - auch wenn die Bürger etwas anderes
wollen."
[11]
11) "Probleme werden auf Ja-/Nein-Entscheidungen verkürzt!
Jede Entscheidung wird am Ende auf Ja/Nein verkürzt. Das ist auch im
Bundestag der Fall. Die Volksgesetzgebung soll nach den Vorstellungen
von Mehr Demokratie Kompromisse zulassen. Die Initiatoren haben die
Möglichkeit, nach der Volksinitiative - das ist der erste Schritt der
Volksgesetzgebung - ihren Vorschlag zu verändern, sodass Ergebnisse
aus der Diskussion mit dem Parlament berücksichtigt werden können.
Zudem hat das Parlament das Recht, einen eigenen Vorschlag
(Konkurrenzvorlage) zum Volksentscheid vorzulegen. Dadurch erhält die
Bevölkerung mehr Auswahlmöglichkeiten. Die Volksabstimmung wird
flexibler." [11]
Soviel also zu den von mir ausgewählten Gegenargumenten. Falls Sie inzwischen die Übersicht verloren haben, wiederhole ich noch einmal meine Fragen:
Ich hoffe Sie können mir meine Fragen beantworten.
Mit freundlichen Grüßen Martin Hedler
Vom Schönen Schein der Demokratievon Hans Herbert von ArnimPreis: 9,90 EuroISBN: 3426775387 Verlag: Droemer Knaur Seiten: 409 |
|
[1] Vom Schönen Schein der Demokratie, Hans Herbert von
Arnim, 2002, S. 295
[2] s.o., S. 296
[3] s.o., S. 296
[4] s.o., S. 297
[5] s.o., S. 298
[6] s.o., S. 298
[7] s.o., S. 298
[8] s.o., S. 298
[9] s.o., S. 299
[10] s.o., S. 299
[11]
http://mehr-demokratie.de/bu/dd/contra.htm