Wie der Kieferknochen eines Blauwales nach Wernigerode kam

Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen. Diese Geschichte habe ich bereits meinem Sohn erzählt. Und Dieser hat sie seinem erzählt. Und der wiederum wird sie bald seinem erzählen.
Sie handelt von meinem Vater und seinen Kameraden und unserem wunderschönen Städtchen Wernigerode. Damals, ich war noch ein kleiner Junge. Dennoch erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Also damals, als Werthers Original noch Werthers Echte hießen, da kam ein Mann nach Wernigerode. Er war nicht von hier und sah auch ganz anders aus als wir. Aber reden konnte der, mein lieber Scholli. Wir hörten ihm mit leuchtenden Augen zu. Er kam schließlich von Bergen, die noch viel höher waren als unser geliebter Brocken. Dieser Mann war ein berühmter Walfänger. Was hatte der schon für Wale errungen. Die ausgeklügeltsten Tricks hatte der dabei drauf. Er erzählte uns hingabevoll von einem kolossal großen Wal, den es zu jagen galt. Niemals zuvor hatte auch nur Irgendeiner von uns einen Wal oder irgendwas Vergleichbares gesehen. Doch was der Mann erzählte klang großartig. Dieser Wal sollte die Gemeinde über Monate nähren. Nicht dass es uns vorher sehr schlecht ging. Aber so ein Wal, das war schon eine tolle Sache. Unsere Väter zogen also aus und unterstützten ihn mit allen Kräften bei seiner Suche nach dem Riesenwal. Einige im Osten, manche im Norden, Andere wiederum im Westen. Im Süden hatte der Mann gute Freunde, die ihm ebenfalls bei seiner Waljagd halfen. Und auch die, die sich am Anfang noch weigerten, schienen sich ihm später dann anscheinend begeistert anzuschließen. Ich habe sie jedenfalls nie wieder hier gesehen. Die Jahre strichen ins Land. Die Gerüchteküche brodelte. Aug in Aug mit dem Wal soll der Mann gestanden haben. Die Harpune im Anschlag. Den Endsieg über das Tier in den Händen. Dann hörten wir jahrelang gar nichts mehr. Die Welt, wie wir sie kannten, veränderte sich in dieser Zeit. Walfang war wohl nun offiziell verboten worden. Das hielt uns jedoch nicht davon ab von diesen riesigen Tieren zu träumen. Zehn Jahre später nämlich sollten wir doch noch zu unserem Wal kommen. Jedenfalls einem Teil davon. Mein Vater, ja mein Vater hat uns den Kieferknochen eines riesigen Blauwales mitgebracht. Und raten Sie mal, wo er ihn erlegt hatte! In Sibirien, Russland. Er konnte ja nicht den ganzen schweren Wal mitbringen, denn seine Kameraden waren draußen auf der See geblieben. Wir haben den Kieferknochen dann also hoch aufs Schloss gebracht, damit ihn Jedermann bewundern konnte. Und dort steht er heute noch. Der neue Ehemann meiner Mutter wollte meinem Vater zu Ehren schließlich ein großes Willkommensfest organisieren. Allerdings fanden wir meinen Vater vorher tot in der Holtemme liegend, mit dem Gesicht nach unten im braunen Schlamm des Harzes. Er hatte vermutlich eine große Forelle erspäht, wollte sie fangen und war dabei unglücklich gestürzt. Er wird auf immer als der große Walfänger von Wernigerode in den Büchern der Stadt stehen.So war es. Das ist die wahre Geschichte wie der Kieferknochen eines Blauwales in unser verträumtes Harzstädtchen kam... na ja, fast die Wahre. Städtel, Städtel, Städtele. Vergiss mich nicht mein Städtele. Sind wir einst gegangen. Um den Wal zu fangen. Städtel, Städtel, Städtele. Vergiss die schöne Geschichte nicht. Denn sie schützt vorm Lichte Dich. Und blendet Dich nicht mehr. Blendet Dich nie mehr. Blauwalkiefer.

Mac
 

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letzte Änderung: 29.03.2005
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