Hauptsache Arbeit

Man hört es in unserem Lande immer mal wieder: "Es findet ein Werteverfall statt." "Wir müssen eine Wertediskussion führen." Oder "Wir müssen uns unserer christlichen Werte wieder besinnen."
Dies ist nur eine kleine Auswahl an Sätzen, die ich mir beim Schreiben schnell ins Gedächtnis rufen konnte. Der kundige Leser kann sich außerdem sicher noch an die Leitkulturdiskussion vor ein paar Jahren erinnern, die letztendlich - mit einem Hauch von Nationalismus - in die selbe Richtung ging.

Werte! Deutschland hat Angst davor seine Werte zu verlieren, oder noch schlimmer, neue hinzuzubekommen. Überhaupt scheint jeder in unserem Land seine eigenen Werte zu haben, so dass es langsam schwer fällt die Übersicht zu behalten. Was ist richtig und was falsch? Man kann sich heute doch auf keiner Feier mehr mit einem fremden Menschen ganz zwanglos unterhalten, weil man ja nicht weiß, welche Werte er sein Eigen nennt. Jeder Witz gleicht einem Spaziergang durch ein Minenfeld. Jede Äußerung über Politik, Religion oder übers Essen wird zu einem Messerwerfertrick. Man fügt doch schon aus reinem Reflex nach jedem Lacher hinzu: "Oh, das habe ich nicht gewusst. Ich hoffe ich habe Sie jetzt nicht beleidigt." - Hat man aber.

Die Zeit ist deshalb reif sich einiger Grundwerte zu vergewissern. Über was besteht in unserem Land Einigkeit? Welche Aussagen werden widerspruchsfrei von allen akzeptiert? Vergessen sie das Grundgesetz. Auf diese Idee können nur Akademiker kommen, oder solche, die sich dafür halten. Hat eh niemand gelesen. Man kennt vielleicht den Ausspruch "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Wie's weitergeht weiß man dann auch nicht mehr so genau. Wo genau im Grundgesetz dieser Satz steht ist noch ungewisser, und einige Leute verlegen ihn auch schon mal in die Bibel. Es ist natürlich Artikel 1. des Grundgesetzes.
Damit wäre die Geographie geklärt, aber was zu Henker bedeutet dieser Satz überhaupt? Kennen Sie zwei Deutsche die sich darüber einig sind? Sehen Sie!

Nein. Wir brauchen klare, eindeutige Aussagen, über die Konsens in unserer Gesellschaft besteht. Ich habe solch eine Aussage gefunden. Sie muss unumstritten sein, denn ich habe noch niemand gehört, der sich gegen sie aussprach. Sie ist die eigentliche Grundüberzeugung, auf der unsere Gesellschaft aufbaut: "Hauptsache Arbeit!"
Das ist es. Das ist der Wegweiser nach dem sich alles richtet - nach dem sich alles zu richten hat. Erst heute morgen im Radio habe ich in einem Kommentar gehört: "...schön und gut, aber dadurch werden auch keine Arbeitsplätze geschaffen."
Ist uns völlig egal was noch dabei abfällt, wenn durch das Unterfangen keine Arbeitsplätze entstehen, dann wollen wir es nicht.
Oder die jeweilige Opposition über einen Plan der jeweiligen Regierung: "...diese Maßnahmen werden Hunderte von Arbeitsplätzen gefährden."
Das ist ja schrecklich! Stoppt sofort diesen Wahnsinn!
Gut gefällt mir auch dieser hier: "Die Aufgabe von uns Unternehmern ist es Arbeitsplätze zu schaffen."
Genial! Nach dem was ich bei Adam Smith gelesen hatte, dachte ich, die Aufgabe der Unternehmer ist es ihren Gewinn zu maximieren. So kann man sich irren.
Vor einigen Jahren strahlte mich mal folgender, oder ein ähnlicher Satz von den Plakaten her an: "Werbeverbot kostet Arbeitsplätze."
Die Werbebranche weiß, wie man eine Botschaft kurz und aussagekräftig rüberbringt.
Und der uns alle bekannt Satz "Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg," muss eigentlich nicht noch mal erwähnt werden. Je nach Wunsch kann übrigens auch eine andere Gesellschaftsgruppe eingesetzt werden, denn wer glaubt nicht daran, dass wir Vollbeschäftigung bekommen, wenn wir z.B. alle Frauen aus dem Berufsleben verbannen und sie wieder in die Hausarbeit schicken?

Ich erwarte in Zukunft noch weitere Sätze. Zum Beispiel: "Verbrechensbekämpfung bedroht Arbeitsplätze," von der organisierten Kriminalität. "Jedes Gramm Heroin schafft Arbeit," aus der Drogenindustrie, und können Sie sich vorstellen was uns bevorsteht, wenn wir die Waffengesetze lockern würden und die Leute wie bekloppt in die Läden rennen, um sich eine Halbautomatik zu besorgen? Arbeitsplätze in Hülle und Fülle.
Sie bekommen heute alles durch, wenn Sie nur glaubhaft machen können, dass Sie dadurch Arbeitsplätze schaffen. Und wenn Sie durch irgendeine staatliche Aktion negativ betroffen sein sollten, so schreien Sie einfach nur laut genug, dass durch diese Handlung Arbeitsplätze vernichtet werden.

Alles hat sich der Schaffung von Arbeitsplätzen unterzuordnen. Wenn es auch sonst keine Werte geben sollte, dieser eine hat unumstößlich bestand.
Und um noch mal zu unseren Grundgesetzfanatikern zurückzukommen. Schaft der 1. Artikel Arbeitsplätze? Wie das ist nicht seine Aufgabe? Dann brauchen wir ihn auch nicht.

Martin Hedler
 

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letzte Änderung: 20.01.2007
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